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Die Filterblase: Knautschzone oder Horizontbeschränker?

Seifen- oder Filterblase

Die Filterblase: Knautschzone oder Horizontbeschränker?

Die Filterblase. Quell aller schlechten (Wahl-)Entscheidungen, Geißel der sozialen Medien. Die Filterblase ist schuld daran, dass wir immer eingeschränkter denken und immer engstirniger werden, das ist allgemein bekannt. Oder vielleicht doch nicht. Eine aktuelle Studie des Nutzerverhaltens im Hinblick auf Nachrichten in sozialen Medien kommt nämlich zu einem anderen Ergebnis.

Was ist die berüchtigte Filterblase überhaupt? Der Begriff wurde vom Internetaktivisten Eli Pariser erfunden. Pariser befürchtet, dass das Internet, speziell zunehmend die sozialen Medien, unseren Horizont immer mehr einschränken. Das liege daran, dass ihre Algorithmen die Daten verwenden, die sie von uns haben (Suchbegriffe, Suchhistorie, Standort etc.) und uns dann nur die Informationen anzeigen, von denen die Seite vermutet, dass wir sie haben wollen. Auf Dauer würde das dazu führen, dass das Spektrum an angebotenen Informationen immer mehr schrumpft, und wir immer weniger Informationen erhalten, die nicht unserem eigenen Standpunkt entsprechen.

Digital News Report 2017

Der Digital News Report vom Reuters Institute belegt aber ganz deutlich, dass zwar über 50 % der befragten Internetnutzer in 36 Ländern angeben, soziale Medien als Informationsquelle zu nutzen, das aber zwischen 76 % in Chile und 29 % in Japan und Deutschland schwankt. Es gaben aber auch 36 % der Nutzer an, durch die Nutzung sozialer Medien mit Nachrichten aus Quellen in Kontakt zu kommen, die sie normalerweise nicht gesehen hätten; 40 % geben an, mit Nachrichten konfrontiert zu werden, die sie nicht interessieren bzw. die sie nicht gesucht hatten. Ein großer Teil der Befragten sagt also: Durch die sozialen Netzwerke erweitert sich meine Filterblase gelegentlich.

Der komplette Report kann hier eingesehen und heruntergeladen werden (in englischer Sprache). http://www.digitalnewsreport.org/

Interessant für Unternehmen: Die Erkenntnisse über die „Nachrichtenblase“ sind übrigens ganz ähnlich für die „Markenblase“ (gut, das Wort habe ich gerade erfunden). 36 % der Befragten geben an, Informationen von und über Marken zu erhalten, die sie normalerweise nicht aktiv suchen würden!

Woher der Hass auf die Filterblase?

Das grundlegende Vorgehen, das zur Filterblase führt, ist durchaus sinnvoll und hilfreich. Bei Google beispielsweise arbeiten Armeen von Spezialisten daran, dass wir als Suchergebnis möglichst nur das bekommen, was wir wirklich suchen. Einen kleinen Spielraum braucht der legendäre Algorithmus schon, beispielsweise um Schreibfehler abzupuffern etc. Aber der eigentliche Unternehmenszweck besteht darin, uns genau das zu geben, was wir suchen. Je mehr die Internetseite bzw. ein spezieller Dienst über uns weiß, desto genauer kann sie/er uns helfen. So weit, so praktisch.

Das Schreckgespenst Filterblase – andere dafür fast austauschbar verwendete Begriffe sind Gesinnungsblase, Informationsblase oder Echokammer – basiert meiner Meinung nach sowieso auf zwei Annahmen, die beide falsch sind: Die erste Annahme ist die, dass die Mehrheit der Internetnutzer sowieso nur das hören wollen, was ihre eigene Meinung bestätigt. Die zweite Annahme: Moderne Internetnutzer sind prinzipiell dümmer als frühere Generationen, die ihre Informationen aus Zeitungen und Büchern bezogen.

Natürlich sucht man sich als Nutzer sozialer Medien die Accounts, die einen interessieren und die ähnliche Meinungen vertreten. Natürlich ist das gar nicht anders als früher, als man auch lieber mit solchen („echten“) Menschen gesprochen hat, die einem sympathisch sind und die eine ähnliche Meinung vertreten. Aber genauso wie früher ist man – persönlichkeitsabhängig – dazu bereit, andere Meinungen zumindest anzuhören, in manchen Fällen sucht man sie sogar aktiv auf, das ist online nicht anders als offline.

Zudem ist der durchschnittliche Internetnutzer bestimmt nicht weniger fähig als der Zeitungsleser von vor 30 Jahren, den Wahrheitsgehalt einer Meldung bzw. deren Wahrscheinlichkeit richtig einzuordnen. Nachrichten „aus dem Internet“ prinzipiell als weniger seriös und zuverlässig einzuschätzen ist genauso unbegründet wie das immer noch weit verbreitete Vorurteil gegenüber e-Books – ein auf Papier gedrucktes Telefonbuch ist ja schließlich auch nicht hochwertigere Literatur als King Lear für den Kindle.

Kann die Filterblase nützlich sein?

Da sagen die einen so und die anderen so. Ich finde: Gerade weil das Internet so grenzenlos und vielfältig ist, muss man vorfiltern. Das ist übrigens keine Erfindung des Internets, schon immer haben Menschen vorrangig mit denen gesprochen, die sie mögen und die dieselbe Meinung teilen, Zeitungen gelesen, die der eigenen politischen Ausrichtung entsprechen usw.

Als mündigen Internetuser können wir es uns selbst aber auch durchaus zumuten, unsere Blase ab und zu verlassen oder sie ein bisschen auszudehnen. Einfach mal auf einen Tweet klicken, den wir zwar auf Anhieb doof finden, den aber jemand, den wir schätzen, retweetet hat. Einfach mal auf der Internetseite einer anderen Tageszeitung nach den aktuellen Nachrichten suchen. Unsere private Filterblase erspart uns zwar jeden Tag 100 Stories von Chemtrailern, Impfgegnern, AfD-Praktikanten und anderen Sonderlingen. Aber vielleicht hält sie uns auch unbeabsichtigt davon ab, dem Twitteraccount unseres eigenen Bundestagsabgeordneten zu folgen, die Facebookseite eines Unternehmens zu entdecken, das wir noch nicht kennen, uns mit den Wirtschaftsjunioren zu vernetzen, eine gut recherchierte Nachrichtenseite kennenzulernen oder über Instagram-Accounts unsere eigenen ästhetischen Vorstellungen zu überdenken.

So ein bisschen die Nase aus der Blase hinauszustrecken kann nicht schaden.

 

(Daten der Studie, interaktiv: http://www.digitalnewsreport.org/interactive-2017/ )